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Der Platz ist leer über meiner Wohnungstür.
Gewaltiger Falter.
Früher nicht mein Ding.
Jetzt ist er verloren –
der schwarze Schmetterling.
Ich will nicht, dass er nicht präsent ist.
Ich will wissen, wo seine Existenz ist.
Ich guck nach, ob er versteckt unterm Bett ist,
such hinterm Vorhang,
im Regal, bei den Tassen – überall.
Er muss da sein, denke ich stur.
Die Wohnungstür immer geschlossen.
Nur beim Raus – und Reingehen kurz mal offen.
Wenn er weggeflogen wäre,
hätte ich das gemerkt.
Oder war ich überhastet?
Zu ausgelastet in meinem Alltag?
Manchmal schaff ich den Spagat
zwischen Urknall zum augenblicklichen Zufall –
manchmal auch nicht.
Das war wohl die Lücke, in der er entwich.
Dort, wo der tiny Körper war,
wo das flauschige Knotenharr sich unter dem Flügelpaar versteckte –
fehlt jetzt der Schatten.
Der schwarze Schmetterling,
an meiner weißen Zimmerdecke,
an einem fremden Ort,
will zurück in seine Heimat.
Natürlich frei sein, nicht hier allein.
Und als Antwort fällt mir etwas anderes ein.
Und ich weiß nicht, warum ich mit mir ringe
–
vielleicht sind wieder die extreme Phasenübergänge
nein es ist
weil ich den Schmetterling mit einem Menschen in Verbindung bringe … mit einem Besonderen.
Ich sehe ihn vor mir,
als sei es gestern gewesen.
In seinem Gesicht
kann ich den Hunger
nach Leben ablesen.
Seine klare Art zu reden.
Und wie er sich bewegte.
Er hatte Ziele, nach denen er strebte.
Damals, vor 18 Jahren:
…
Der Partyclubraum – nicht so voll.
Wir stehen nah zusammen, trinken Bier und reden viel.
Du erzählst, wofür du brennst. Dass du singst in einer Band.
Heimlich seh ich dein Profil, hör dir zu – die Zeit steht still.
Zeit scheint unbegrenzt.
Aber die Zeit mit ihm war nicht unbegrenzt.
Sie fand ein schnelles Ende.
Er ging zurück in seine Heimat –
seine neue Existenz. Für mich:
die absolute Lebenswende.
Das ist lange her.
Und es ist der Vibe, der bleibt – sag ich immer.
Aber das ist nicht der Punkt.
Um das Ganze rund zu machen, geb ich zu:
Da sind noch Sachen mit dem Dude vor 18 Jahren,
die mich bewegen und an mir nagen.
Ich suche ihn im Netzwerk –
auf Facebook und so weiter –
und finde ihn. Und sehe:
er lebt, wie’s scheint, befreiter.
Er steht auch dort auf Bühnen.
Mit einem Mikrofon.
Und ich habe mittlerweile einen Teenage-Sohn.
Aber –
ich trau mich nicht zu liken
und nicht zu schreiben:
18 Jahre lang.
Aber ich will es nicht bestreiten:
dass ich das auch ändern kann.
Ändern will.
Ich denke an Transformation
und damit kommt die Frage:.
Bin ich bereit für ein Like?
Dieser Gedanke wirkt schrill,
ruft einen penetranten Laut in mir hervor –
als wäre eine Koloratursopranistin
auf ihrem höchsten C steckengeblieben.
Als hätte sie den schwarzen Schmetterling vertrieben.
Denn Schmetterlinge hören
auch mit ihren Flügeln.
Das Foto. Meine Entscheidung. Nur ein Klick.
Und sofort schlage ich das Display runter
und springe zurück.
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Er antwortet.
Ich antworte.
Wir schreiben.
Und Stück für Stück sinnieren wir
über den Vibe der Zeit 2006,
der nach Wiederholung schreit –
auf eine Art und Weise,
die ich mir leise wünsche.
Aber nach und nach
bin ich mehr und mehr erschüttert,
wie er über sich denkt.
Sich von oben herab abschmettert.
Und wenn wir telefonieren,
trinkt er keinen Kaffee.
Und nicht ein Mol,
sondern 1–2 Flaschen
von diesem Nervengift.
Es tut weh.
Und ich fühl mich seltsam hohl,
wenn ich ihn dann seh –
oder besser: reden höre.
Seinen Rückzug spüre.
Sein Verlorensein.
Ein einsamer Mensch.
Er kommt mir vor wie ein Schatten
seiner Existenz –
als hätte das Leben ihn
aus seinem Leben verbannt.
Wirkt er auf eine zarte Weise ausgebrannt.
Ihm ist ziemlich vieles egal.
Dass er mich eigentlich
nicht wieder verlieren will,
ist irgendwie klar.
Aber sein Verlorensein hindert ihn daran.
Und was heißt denn dann „will“,
wenn er selbst nicht kann?
Und wieder klingt es schrill
in meinen Ohren –
sechsgestrichene C-Oktave.
Schwarzer Schmetterling.
Verloren.
Damals, 2006:
…
Ich absorbiere die Frequenz deiner starken Stimme,
schließe sie tief in mein Herz
und sehe – du gewinnst immer auf der Bühne.
Dann lächelst du mir ganz kurz zu.
Ich schau dich lange an
und wünschte mir, es wäre nicht so.
Aber du bist mein Mann.
Und dann war er plötzlich weg 2006 –
Ich verreckte innerlich,
trank zu viel von dem Gift
und ersetzte die Lücke,
die er hinterlassen hatte,
mit einem Mann, den ich schnell satt hatte.
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Und so vergehen 18 Jahre
voll ungestellter Fragen –
überschrieben von zu vielen,
nutzlosen Antworten –
die noch im Gedächtnis horten.
Sein Bild – schwarz weiss – hängt noch an der Wand.
Er auf der Bühne mit Mikro in der Hand.
Erinnerung an eine Zeit,
die nach Wiederholung schreit.
So bin ich nicht mehr, sagt er,
mit verwaschener Stimme – am Telefon.
Du wirst sehn, ich kämpfe seit Jahren schon mit dem Problem. Und als wollte er mich überzeugen,
keine weitere Zeit mit ihm zu vergeuden,
fragt er:
Warum interessierst du dich noch für mich?
Ich bin ein einsamer Mensch, alt geworden,
trinke, rauche und kann mich nicht aufraffen.
So spricht weiter mit seinen selbstgeschaffenen Waffen.
Ein Schwert, das seinen Selbstwert vernichtet.
Wie das Nervengift,
das die Leere im Kern verdichtet.
Verloren im Stimmungswechsel –
etappenweise.
Gute Laune.
Stimmungstief.
Selbstmedikation
als Dauerschleife
mit Endlosfunktion.
Würde man einem Sänger seine Stimme entziehen,
würde man ihm seine Würde nehmen.
Das Kostbarste, womit er heilen kann:
Gesang als Ausdruck des Leidens im Leben –
als Übergang.
Und ich wollte schwören:
Schwarze Schmetterlinge können mit den Flügeln hören.
Gewaltiger Falter.
Früher nicht mein Ding.
Er ist noch verloren.
Und jetzt weiß ich,
warum ich mit mir ringe.
Weil ich den Schmetterling
aufeinmal wiederfinde.
In einem Musikvideo.
Auf der Körpervorderseite,
in Höhe der Schlüsselbeine,
hat sich das Tier niedergelassen.
Die Nahaufnahme des Sängers.
Der Vibe seiner Stimme.
Die samtige Art –
wie eine Hymne an das dämonische Wesen,
das als Tätowierung
seine neue Existenz offenbart.
Wie ein Schutz fließt der Schatten
über die Region der oberen Brust.
Die Flügel geöffnet,
spähen unter dem Ausschnitt des T-Shirts hervor.
Vielleicht saß er schon dort,
bevor ich ihn verlor?
Aber es gibt keine Gleichzeitigkeit an allen Orten.
Wir beschreiben Ereignisse mit vergänglichen Worten
und haben keinen Einfluss auf den Vibe der Zeit
in vergangenen Dingen.
Auch wenn wir den Schmerz des Lebens wegsingen,
können wir nur die Zukunft gestalten –
als neue Existenz.
Vielleicht.
Wenn wir unser konstruiertes Leben
mit Liebe erhalten.
Aber es ist nur ein Video.
Und der Schmetterling ruht weiter in Pianissimo
auf der Haut über des Sängers Brustbein.
Und die Flügel verschlucken alles Licht im Dasein.
Da fällt mir ein Text ein,
den ein Wissenschaftler schrieb –
in der Welt der Physik –
dass tiefste Nanostrukturen
auf den Schmetterlingsflügeln das Licht absorbieren
und zu diesen schwarzen Effekten führen.
Es kommt nicht auf des Flügels Muster an.
Licht kommt besser in Länge und Tiefe voran.
In meinen Gedanken:
Vielleicht erwärmt das Licht so den Kern
über Nacht – bis zum Sonnenaufgang.
Ich bin da, wenn du mich brauchst. Bin dir nah, wenn du heilst und wieder vertraust … und dann stoppe ich den Gedankenfluß, den es gibt keinen Schluss und ken Happy Ende.
Denn es ist nur ein Video.
Aber alles ist Auslegungssache.
Und das schenkt Vertrauen.
Und ich will – wie es sich darstellt trotzdem –
ein ein happy Ende glauben.
-KlrxT ❤︎